Jeden Tag erlebe ich unzählige Momente, für die ich dankbar sein kann. Sei es die Stunde, die ich morgens mit meinem Hund im Wald unterwegs bin oder die Gespräche mit meiner Frau beim Frühstück, leckeres Essen, ein Lächeln, das mir galt, eine gute Nachricht von einem Vertrauten oder eine tolle Yogastunde. All das sind Geschenke, die ich ohne Gegenleistung erhalte, sie werden mir zuteil, ohne dass ich darum gebeten habe.
Es gibt ein sehr schönes Wort dafür: Gnade. Gnade bedeutet, quasi unverdient eine gute Erfahrung zu machen. Gnade erfahren alle Menschen, aber nur die wenigsten sind in der Lage, sie zu erkennen. Es ist alles zu selbstverständlich geworden. Sofern eine positive Erfahrung überhaupt als solche wahrgenommen wird, besteht der Anspruch, dass sie einem selbstverständlich verdientermaßen zusteht. Was soll das mit Gnade zu tun haben?
Vielleicht muss man erst einen schmerzhaften Verlust erleiden, um zu erkennen, dass nichts, aber auch gar nichts selbstverständlich ist. Selbst für das Alltäglichste lohnt es sich, dankbar zu sein und es als Gnade, als Geschenk anzusehen. Das setzt Bewusstheit voraus.
Etwas als Gnade anzuerkennen und dafür dankbar zu sein macht glücklich. Das Gefühl, beschenkt worden zu sein und dass niemand dafür eine Gegenleistung erwartet, erfüllt das Herz mit einem warmen Gefühl.
Aber wem gebührt der Dank für die Gnade? Gläubige Menschen danken Gott. Was, wenn ich keine Zielperson für meinen Dank habe?
Dankbarkeit existiert und funktioniert auch ohne Zielperson, vergleichbar mit Freude, die man unvermittelt empfindet. Manche Menschen führen ein Dankbarkeitstagebuch, zumindest im Geist. Jeden Abend machen sie sich mindestens fünf Erfahrungen vom zu Ende gehenden Tag bewusst, für die sie dankbar sind, selbst dann, wenn der Tag insgesamt alles andere als gut gelaufen ist. Die folgende Nacht wird mit Sicherheit erholsameren Schlaf bringen, als wenn man mit Groll die Augen schließt.