Vor einiger Zeit offenbarte mir ein Freund in einem Gespräch ein Problem. In meinem früheren Leben war ich Ingenieur. Ich denke lösungsorientiert. Werde ich mit einem Problem konfrontiert, arbeitet mein Gehirn an einer Lösung, noch bevor das Problem ausformuliert ist. Und so hatte ich dann am Ende der Problemschilderung die perfekte Lösung und habe sie meinem Freund offeriert. Die Reaktion fiel anders aus als von mir erwartet. Mein Freund bat mich, mich mit unerbetenen Ratschlägen bitte zurückzuhalten. Ich war stinkesauer. Drei Tage lang.
Dann begriff ich langsam, dass er recht hatte. Was war passiert? Ich habe versucht, für etwas Verantwortung zu übernehmen, was gar nicht meins ist. Mit meinem Lösungsvorschlag habe ich infrage gestellt, dass mein Freund selbst fähig ist, das Problem zu lösen. Noch brutaler ausgedrückt: Ich habe ihn entmündigt.
Und so ist es immer, wenn man versucht, einem mündigen Menschen die Verantwortung für sein Denken und Handeln abzunehmen. Für wen bin ich verantwortlich? Nur für mich selbst! Es ist etwas anderes, wenn mir jemand bewusst Verantwortung abgibt.
Mein Freund hat sein Problem bravourös gelöst, ohne meine Hilfe. Meine Lösung hätte ganz anders ausgesehen als seine, und es ist fraglich, ob sie zum Erfolg geführt hätte.
Die Erfahrung mit meinem Freund war für mich prägend. Ich halte mich seitdem mit wohlgemeinten Ratschlägen zurück, nicht nur meinem Freund gegenüber.