Stell Dir ein Dir nahestehendes Kind vor. Das Kind weint herzzerreißend, ist außer sich und wird von seinem Leid ganz bestimmt. Wie reagierst Du? Setzt Du Dich neben das Kind, um mit ihm zu leiden und dadurch in Deinem Denken und Handeln womöglich ganz blockiert zu sein? Wohl kaum! Du wirst Dich mit dem Kind eng verbunden fühlen, aber zu seinem Leid emotionalen Abstand halten.
Genau das beschreibt den Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl. Empfinde ich Mitleid, übernehme ich das Leid des Anderen. Und das wird mich lähmen. Der Leidende braucht vielleicht meine Zuwendung, aufmunternde Worte, möchte in den Arm genommen werden. Da ich aber sein Leid übernommen habe, werde ich dazu nicht imstande sein. Wenn ich es dennoch versuche, wird beim Leidenden nicht mehr als die Reflexion seines eigenen Leidens ankommen.
Empfinde ich stattdessen Mitgefühl, bin ich zwar emotional mit dem Leidenden verbunden, behalte aber Distanz zum Leid selbst. Dadurch werde ich in meiner Kraft bleiben. Nur dann werde ich in der Lage sein, Trost zu spenden und wirkliche Hilfe zu leisten.
Der Mensch neigt dazu, Mitleid zu entwickeln. Mitleid kann keinem helfen, weder dem Leidenden noch dem Mitleidigen. Stelle ich fest, dass mich das Leid des Anderen runterzieht und blockiert, hilft bewusste Innenschau und Differenzierung: Einerseits meine emotionale Verbindung mit der Person und der Wahrnehmung, dass sie leidet und andererseits das Leid selbst. Ich wende mich der Person zu, aber mache nicht ihr Leid zu meinem Leid.